Paris-kompatible und wirtschaftliche Mehrfamilienhäuser

In dem dreijährigen Interreg-Projekt “Low-Cost nZEB” wurde der Wissensstand zum Thema wirtschaftlicher und Paris-kompatibler Mehrfamilienhaus-Neubauten zusammengefasst und für die Akteure der Bauwirtschaft aufbereitet

Fragen und<br/>Anregungen

Auszug aus der Publikation Low Cost nZEB, Paris-kompatible Mehrfamilienhäuser von Dipl.-Ing. Arch. Martin Ploß:

Was ist ein Paris-kompatibles Gebäude?
Unter „Paris-kompatiblem Bauen“ wird ein Energieniveau verstanden, das in Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaabkommen steht. Die Herleitung der Anforderung „Paris-kompatibles Mehrfamilienhaus“ erfolgt über das so genannte CO2-Global-Budget und seine nationale sowie sektorale Zuordnung auf den deutschen und den österreichischen Wohngebäudepark. Damit wird bewusst eine Abgrenzung von Begriffen wie „Klimaneutraler Gebäudebestand“, „Klimagerechtes Bauen“ oder „Klimapositives Bauen“ gesucht, die im Hinblick auf die Zeitpfade und die Menge der künftigen CO2-Emissionen oftmals undefiniert bleiben.

Mehrfamilienhäuser sind Paris-kompatibel, wenn ihre THG-Emissionen im Betrieb bei etwa 125 bis 250 kg/(Person*a) liegen. Dieses sehr niedrige Emissionsniveau kann erreicht werden, wenn…
…der Energieverbrauch über eine hocheffiziente Gebäudehülle reduziert wird.
…die Wärmebereitstellung effizient über Wärmepumpe oder Fern-/Nahwärme erfolgt.
…die Solarpotentiale vor Ort zu großen Teilen ausgenutzt werden.

Warum Paris-kompatibel bauen?
Paris-kompatible Mehrfamilienhäuser sind im Lebenszyklus wirtschaftlich und können mit verschiedenen, bewährten Konzepten errichtet werden. Außerdem spielt der Gebäudesektor eine zentrale Rolle bei der Verringerung der Treibhausgasemissionen sowie der Energie-Importabhängigkeit. Der russische Überfall auf die Ukraine verdeutlicht, dass Energieeffizienz und Dekarbonisierung nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch aus außen- und wirtschaftspolitischen Gründen sowie als Grundlage einer friedlicheren Entwicklung der Weltgemeinschaft eine hohe Bedeutung haben. Die Folgen des zu langsamen Ausstiegs aus fossilen Energieträgern und der mangelnden Fortschritte bezüglich der Gebäudeeffizienz zeigen sich in der gestiegenen Energie-Importabhängigkeit. Die Kosten der Ende März 2022 in Deutschland und Österreich eingeführten Subventionen für fossile Energieträger verdeutlichen, dass Energieeffizienz jenseits ihrer betriebswirtschaftlichen Sinnhaftigkeit auch eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit ist.

Wie gelingt Paris-kompatibles Bauen?
Die erste Herausforderung besteht darin, die seit Jahren verfügbaren und bewährten, jedoch nicht in ausreichender Anzahl umgesetzten Kernstrategien (Passivhaushüllen, Wärmerückgewinnung bei Lüftung und Warmwasseranwendungen, Umstellung der Strom- und Wärmeerzeugung auf erneuerbare Energieträger, groß dimensionierte gebäudeintegrierte PV-Anlagen, effiziente Haushaltsgeräte) vom Nischen- zum Hauptgeschehen zu machen. Wegen des extremen Zeitdrucks kann nicht allein auf Freiwilligkeit oder auf Förderprogramme gesetzt werden, sondern hierfür sind gesetzliche Regelungen (z.B. unverzügliche Novellierung des GEG unter Einbeziehung des Bestandes) notwendig. Am wichtigsten ist die Einführung hoher energetischer Qualitäten anstelle der bislang üblichen mittleren. Zudem muss der Ausstieg aus den fossilen Heizsystemen (auch Erdgas!) auch im Bestand bis spätestens 2040/45 abgeschlossen sein, da Deutschland eine Klimaneutralität bis 2045 anstrebt.

Die zweite Herausforderung besteht in der Umorientierung der Bauaktivitäten weg vom Neubau in Richtung Bestandsmodernisierung mit hohen Qualitäten. Eine kurzfristige Steigerung der Sanierungsrate von 1 % auf 2 % kann nur so gelingen, weil eine Verdopplung der Baukapazitäten aufgrund des schon heute bestehenden Arbeitskräftemangels kurzfristig nicht möglich erscheint. In diesem Zuge sind auch der Einsatz von CO2-armen/-freien Baumaterialien und Bauweisen sowie Ansätze zur Kreislaufwirtschaft zu forcieren.

Darüber hinaus sollten Suffizienzstrategien bewusst gefördert werden. Dazu ist an erster Stelle ein Wechsel der künftigen Bezugsgröße von der Nutzfläche hin zur Person hilfreich, um die Potenziale überhaupt bewerten zu können. Um für individuelle Verhaltensänderungen Anreize zu geben, ist auf politischer Ebene ein deutlich höherer CO2-Preis mit Sozialkomponente (Rückvergütung pro Kopf) anzustreben.

Der Einstieg in die Bildung von CO2-Senken sollte ab sofort mit Pilotprojekten beginnen. Natürlichen Senken (NCS „Natural Climate Solutions“) sollte hierbei ein Vorrang vor den risikoreicheren technischen Lösungen (z.B. CCS „Carbon Capture and Storage“) eingeräumt werden.

Auszug aus der Internetseite des Energieinstitut Voralberg
Die ungekürzte Fassung der Publikation Low Cost nZEB, Paris-kompatible Mehrfamilienhäuser kann im Internet heruntergeladen werden.

Mehr Infos zum Thema im Vortrag von Martin Ploß unter: https://www.youtube.com/watch?v=u38Khqg1u64