Wirtschaftlich klimagerecht Bauen

Als Architektin und Bauträger baut Sonja Joachim mit ihrem Büro NEST seit über zwei Jahrzehnten Passivhäuser, KfW40 und KfW40Plus-Gebäude und Wohnanlagen in Holz- oder Holzhybridbauweise. Die Wirtschaftlichkeit klimagerechter Gebäude steht dabei in der Projektentwicklung, der Planung und dem Vertrieb zwangsläufig immer im Fokus.

Interview mit Sonja Joachim:

Wie erklärt sich die Wirtschaftlichkeit klimagerechter Gebäude trotz etwaiger Mehrinvestitionen in die Gebäudehülle und -technik?
Bei den Mehrinvestitionen in die Gebäudehülle, also Dämmstärken, bessere Fenster, Lüftungsanlagen etc., geht es immer um die Steigerung der Energieeffizienz, um eine radikale Reduzierung des Energiebedarfs in der späteren Nutzung, also um die langfristige Betrachtung. Jede kWh an Wärme, die ich nicht verbrauche, spart bares Geld. So amortisieren sich die Mehrkosten bereits nach wenigen Jahren. In der aktuellen Energiekrise mit explodierenden Preisen und der Energieknappheit ist das Thema noch plakativer und präsenter denn je. Alle sind überrumpelt von der aktuellen Lage, wir weisen schon seit Jahrzehnten genau auf diese Situation hin. Sie zeigt uns, wie abhängig wir von Energie sind, insbesondere beim Wohnen. Und warum? Weil wir so unglaublich viel verbrauchen! Genauso verhält es sich mit den Mehrinvestitionen in eigene Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien, wie PV-Anlagen und Batteriespeicher. Was ich selbst produzieren kann, muss ich nicht bezahlen und je weniger ich brauche, desto wirtschaftlicher und unabhängiger wohne, arbeite und lebe ich. Die Sonne schickt uns eben keine Rechnung.

Der Fokus liegt also klar auf der Reduzierung, dem Weniger, dem Einsparen. Die Menschen werden entlastet, wenn die Häuser, in denen sie wohnen und arbeiten, dies schon für sie übernehmen. Hier sind ganz klar in erster Linie wir Architekten in der Verantwortung.

Warum wird bei extrem energieeffizienten Gebäuden, insbesondere Passivhäusern, der Fokus auf genau 15 kWh gelegt? Was machen ein, zwei oder auch 5 kWh mehr oder weniger schon aus?
Der Richtwert bietet eine valide Basis für uns Planer, die entsprechenden Berechnungstools geben uns den Weg für die planerische Umsetzung vor. Die Konzentration auf die Effizienz bildet außerdem die Grundlage für weiterführende Konzepte, wie eben die Nutzung erneuerbarer Energien oder auch innovative Mobilitätskonzepte. Manchen Architekten und Planern ist es schlicht und einfach zu anstrengend, sich damit zu beschäftigen. Dafür habe ich kein Verständnis.
Die Planer müssen sich wieder mehr engagieren und sich selbst fachlich auf den neuesten Stand bringen. Richtlinien und Grenzwerte sind außerdem zwingend notwendig, um auch Fördermittel richtig einzusetzen. Ein solches Desaster wie die jahrelange Fördermittelverschwendung für KfW55-Gebäude, mit dem Ergebnis, dass auch die Förderungen für wirklich effiziente Gebäude gecancelt werden, darf sich nicht wiederholen. Wir haben einfach schon zu viel Zeit verloren.

Reicht der alleinige Fokus auf Effizienz denn aus?
Nein, nicht wenn man wirklich „pariskompatibel“, also im Sinne der Pariser Klimaschutzziele, die eine Erderwärmung von 1,5° als Grenzwert vorgeben, bauen möchte. Aus meiner Sicht sind immer die drei Bereiche „Fläche“, „Energie“ und „Material“ zu betrachten – und zwar bei allen Planungen, nicht nur im Gebäudebereich. In allen drei Bereichen müssen wir unseren Bedarf reduzieren. Auch hier sind v.a. wir Architekten und Planer gefragt. Energie- und Materialbedarf kann ich konkret berechnen und wirtschaftlich bewerten. Die „Fläche“ ist die Stellschraube. Wenn ich meine Bauherren mit intelligenter, flexibler Planung überzeugen kann, dass sie auch mit einem 15m² großen Wohnzimmer gut leben können, statt mit 30 m², haben sie schon – sehr grob ausgedrückt – 50% an Energie und Material gespart. Letzten Endes geht es um die Gesamtbetrachtung: Suffizienz – Effizienz – Konsistenz, und über allem steht das große Thema CO2-Emissionen und die wahren Kosten dahinter. Das wird beim Thema „Wirtschaftlichkeit“ in Planung und Bau nämlich meistens vergessen.

Welche Rolle spielt denn die CO2-Bepreisung bei den Themen Energieeinsparung und Effizienz, dem Einsatz erneuerbarer Energien und nachwachsender Baustoffe?
Viele verdrängen oft die Tatsache, dass die Gebäude die wir jetzt bauen, die nächsten 50 – 80 Jahre stehen. Wenn wir die Pariser Klimaziele tatsächlich erreichen wollen, müssen wir sofort, also JETZT handeln. Das heißt, die CO2-Emissionen für die Herstellung, den Bau, die Materialien und die Bewirtschaftung konkret zu berechnen und in unserer Planung maximal zu reduzieren. Und zwar nicht nur bei Neubauten sondern auch bei der Sanierung des Gebäudebestands. Verbleibende Emissionen sind zu kompensieren, durch konkrete Investitionen z.B. in Aufforstung, Renaturierung von Mooren oder technische Weiterentwicklungen zur CO2-Bindung.
Aus meiner Sicht sollten die Kompensation per gesetzlicher Verordnung projektbezogen verpflichtend werden. Bei einer finanziellen Kompensation ist ein angemessener CO2-Preis anzusetzen. Die Externalisierung der Kosten muss zwingend offen gelegt und vermieden werden, um den Fokus auf die Wirtschaftlichkeit im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu lenken.
Wir dürfen die Klimawende nicht nur für uns berechnen, sondern müssen für die nächsten Generationen mitkalkulieren. Das anfangs angesprochene, im Vergleich geringfügige Mehrinvest sollte es uns wert sein.

Mehr Infos zum Thema im Vortrag von Sonja Joachim unter:
https://www.youtube.com/watch?v=uBWfn6VgYNI